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04
Okt

„Der Comic scheint mir das ideale Medium für die Darstellung von Architektur zu sein.“ INTERVIEW mit Matthias Gnehm

Wie kommt ein Architekt zum Comic-Zeichnen? Seit 1998 veröffentlicht der Zürcher Matthias Gnehm Comic-Bücher, die sich Architektur-Themen drehen; zwölf „Archi-Comics“ sind bislang erschienen.

Das jüngste Buch, Salzhunger, ist 2019 bei Edition Moderne erschienen, ein Thriller um den Kampf gegen ein global agierendes Rohstoffunternehmen, der in Zürich und Lagos spielt: „Weißt du, was ich denke?“, sagt Anthony Nwoko zu Arno Beder, „Alles ist fade geworden. Du hast keinen Appetit mehr auf dein Leben. Du hast keinen Salzhunger mehr.“ Doch als Arno Zeuge der Tötung eines Jugendlichen bei der widerrechtlichen Zerstörung eines Slums wird, weckt ihn dies aus seiner Lethargie und er findet schließlich seine Bestimmung. (Mehr Infos zum Buch)

Salzhunger, Edition Moderne, Zürich, 2019, Seite 151

Beeinflusst der Hintergrund in der Architektur die Arbeit am grafischen Erzählen? Welche Möglichkeiten eröffnen sich dabei? Und nicht zuletzt- wie entsteht ein „Archi-Comic“? deconarch.com hat bei Matthias Gnehm nachgefragt!

all illus. (c) Matthias Gnehm
www.matthiasgnehm.ch

INTERVIEW

Matthias, du bist Architekt, arbeitest heute aber nur noch als Comic-Autor. Wie kam es dazu?

Es war umgekehrt. Ich war immer schon Comiczeichner – oder jedenfalls hatte ich das Gefühl, ich sei einer, damals, als ich noch ein Kind war. Ich kopierte Tim und Struppi, Lucky Luke und Asterix, zeichnete Seeschlachten und Westernduelle, dann kamen die Weltkriege und Star Wars. Da meine Eltern ein Einfamilienhaus bauten, bekam ich die Architekturpläne zu sehen, und, vielleicht weit wichtiger, ein filigranes Holzmodell des Bauvorhabens. Diese miniaturisierte Welt hat mich dann lange fasziniert, was zu einer Reihe von selbst gebauten Modelleisenbahnhäusern führte – es waren die Nachbildungen der Bauten rund um den kleinen Bahnhof des Dorfs, in dem ich aufgewachsen bin. 

Modellhäuser Küngoldingen, Maßstab 1 zu 160, 1984

Inspiriert durch die Architekturpläne des Einfamilienhauses entwarf ich dann auch eine Villa. Mit einem hohen Wohnraum, der ein paar Treppenstufen tiefer lag als die Räume des Erdgeschosses, mit einem Treppenturm, der von einem spitzen Ziegeldach gekrönt wurde. Das Haus hatte große Fenster, die aber durch Sprossen unterteilt waren und dem ziegeldachbedeckten Haus eine durchaus traditionelle, ländliche Note verliehen. Mit etwa fünfzehn Jahren verbrachte ich dann einen Schnuppertag in einem lokalen Architekturbüro. Ich bekam die Aufgabe, mein Zimmer zu zeichnen. Die erstaunte Reaktion des Architekten auf meine Zeichnung zeigte mir, dass er wohl einen Grundriss erwartet hatte und keine räumliche Perspektive mit zwei Fluchtpunkten. 

Schauplatz für einen Comic, 1992 (Skizze)

Noch während des Gymnasiums zeichnete und schrieb ich dann meinen ersten langen Comic. Der blieb zwar in der Schublade, aber ich wusste nun, dass mich dieses Arbeiten sehr glücklich macht. Nach der Matura besuchte ich den Vorkurs an der Schule für Gestaltung in Zürich und begann danach mit dem Schreiben und Zeichnen des Szenarios für einen Comic, der in einer selbst entworfenen Stadt spielen sollte. Eine dramatische Geschichte um ein junges Paar, das in die Machenschaften eines dubiosen Tycoons – der in einer über der Stadt thronenden Supervilla lebte – hineingezogen wird. Nach einem Jahr Arbeit daran machten mich meine Eltern sanft darauf aufmerksam, dass ich nicht ewig bei ihnen wohnen und arbeiten könne, aber dass sie mich beim Abschluss meiner Ausbildung unterstützen würden. Diese Ausbildung könne auch die zum Comiczeichner sein. Nun, damals gab es in der Schweiz keine solche Ausbildung. Bekannt waren mir Schulen in Frankreich oder in Belgien, doch ich entschied mich für das Architekturstudium an der ETH Zürich – ein Entscheid, den ich nie bereut habe.

Wie beeinflusst die Architektur deine Arbeit am Comic?

Im Studium wurde mir schnell klar, dass das Schönste am Architektenberuf das Entwerfen ist und dass mich die organisatorischen Aspekte weniger interessierten – etwas, was ich auch während meines Praktikumsjahrs bei Herzog & de Meuron bestätigt sah. Bevorzugtes Mittel des Entwurfs im Studium waren für mich die von Hand, mit Kreide und Bleistift, gezeichneten Perspektiven meiner Projekte, eine Arbeitsweise, die auch von meinen Diplomprofessor Hans Kollhoff gefördert wurde. Und genau dieses Darstellen von Räumen sollte in der Folge ein zentraler Aspekt meiner Arbeit als Comiczeichner werden. In welchen Räumen spielt die Geschichte? Wie erfahren die Figuren die Räume, in denen sie sich bewegen? Welche Raumfolgen führen die Figuren in die Situationen, die zu ihrem Schicksal werden? Dabei spielt es für mich keine Rolle, ob die Räume Vorbilder in der Realität haben oder aber frei erfunden sind. Bis heute bin ich auch dieser Zeichentechnik treu geblieben: Ich zeichne mit weichen Pastellkreiden und Bleistift. 

Salzhunger, Edition Moderne, Zürich, 2019; Seite 138

Bietet das Medium Comic besondere Möglichkeiten für die Darstellung von Architektur oder den Zugang zur Architektur?

Im Comic kann die gezeichnete Architektur mit Leben gefüllt werden. Im Unterschied zu einer Architekturillustration, auf der zwar auch Figuren abgebildet sind, die in einer eingefrorenen Bewegung gezeigt werden, kann im Comic die Illusion einer Bewegung nicht nur im Raum, sondern auch in der Zeit erzeugt werden. Dieses Zeiterlebnis wird durch das sequenzielle Anordnen der einzelnen Bilder erzeugt. Im Unterschied zum Film bleibt aber das Zusammenfügen dieser Bildsequenzen zu einem kontinuierlichen Raum-Zeit-Fluss Sache der Betrachterin. Diese entscheidet, wie schnell oder wie langsam sich die Szene abspielt, die in einer solchen Bildsequenz erzählt wird. Sie kann in den dargestellten Räumen so lange verweilen, wie sie will. Der Comic scheint mir das ideale Medium für die Darstellung von Architektur zu sein.

Wie entstehen deine Bücher, wie die Geschichten?

Das kann ganz unterschiedlich sein. Bei „Tod eines Bankiers“ hatte ich Lust, einen neuen Stadtteil für Zürich, direkt am See, zu entwerfen, und darin die Geschichte spielen zu lassen. Da ich in dieser Stadtplanung einen gigantischen Hochhausturm entwarf, folgte in einem zweiten Schritt die Frage nach der Bauherrschaft für einen solchen Gigantismus. Wer in Zürich würde so etwas bauen, wenn nicht eine Bank? Und so entwickelten sich wie von alleine die Figuren rund um diese Bankenwelt, die für einmal, ganz unzürcherisch, groß klotzen und sich auch ihrer Verschwiegenheit entledigen mit dem global lancierten Versuch, aus dem Tod DAS Geschäft zu machen.

Auszug aus: Tod eines Bankiers, Edition Moderne, Zürich, 2004

Anders war es in meinem zuletzt erschienenen Buch „Salzhunger“. Anfangs wusste ich nur, dass ich eine Geschichte rund um die Frage der Rohstoffgewinnung und des globalen Rohstoffhandels erzählen wollte, es sollte ums Erdöl gehen. Klar war auch, dass die Schweiz eine große Dichte an solchen Rohstofffirmen hat und dass Zürich wiederum ein geeigneter Schauplatz für die Herkunft eines Teils der Figuren sein würde. Was noch fehlte, war ein Schauplatz in einem vom Rohstoff-Fluch geprägten Land, der ideal für die Darstellung der verschlungenen Wege des globalen Rohstoffhandels sein würde. Schlussendlich war es wohl eher Neugier, die mich Lagos wählen ließ – endlich hatte ich einen Grund, diese Mega-City in Nigeria für die Recherche für meine Geschichte selbst zu besuchen. Was ich aber dort erlebte, konnte ich weder planen, noch war es anfangs Teil der Geschichte: Ich wurde Zeuge der gewaltsamen Räumung des Slums Otodo Gbame, bei der 30.000 Bewohner vertrieben, alle ihre kunstvoll in und an der großen Lagune von Lagos gebauten Häuser niedergerissen und verbrannt wurden und bei der tags zuvor ein Jugendlicher getötet worden war, weil er sich dagegen wehrte. So kam schlussendlich ein Thema in die Geschichte, das mir vorher in dieser Klarheit nicht bewusst war: Die Investitionen für ein solches rein spekulatives Neubauprojekt, dem dieser Slum weichen musste, stammen nicht zuletzt aus dem Rohstoffhandel – einem Handel, an dem vor allem die global tätigen Rohstoffriesen, unter anderem mit Sitz in der Schweiz, und einige wenige lokale Akteure in den Staaten, in denen der Rohstoff gewonnen wird, profitieren. Das Architekturthema kam hier erst am Schluss dazu, in einer ihrer hässlichsten Verstrickung.

Matthias, herzlichen Dank für die Einblicke in die Welt des Comic-Zeichnens!