Alte Turnhalle bekommt Leichtbau-Dach
Nach etwa zweijähriger Umbauphase erhält das Darmstädter Lichtenberg-Gymnasium seit November 2024 eine sanierte Schulsporthalle. Energetisch kann sie sich am Passivhaus-Standard messen lassen und dank einer Hochstufung auf die Feuerwiderstandsklasse F 30 erfüllt sie nun auch die Richtlinien der Versammlungsstättenverordnung. Als Schlüsselfaktor der Sanierung erwies sich eine neue Leichtbau-Dachkonstruktion, die alle Anforderungen der städtischen Bauherren berücksichtigt. Konzipiert und realisiert wurde sie von Loewer + Partner Architekten sowie den Tragwerkplanern von Kleinhofen + Schulenberg.
„Abreißen und neu bauen, sanieren ist zu teuer!“ Lange Zeit galt dies als unumstößliches Credo, wenn auf kommunaler Ebene über die Zukunft alter Turn- und Sporthallen aus den 1950er und 1960er Jahren entschieden werden sollte. Inzwischen setzt sich jedoch mehr und mehr ein anderer Ansatz durch. Sie ist gekennzeichnet durch eine klima- und umweltverantwortliche Gesamtbetrachtung, die den Gedanken der Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt stellt. Das bedeutet unter anderem, dass der Gedanke, dass bereits in der Konstruktion und in den Materialien des Altbaus ein hohes Maß an Energie – die so genannte graue Energie – gebunden ist, heute in der Sanierungspraxis einen hohen Stellenwert einnimmt. „Sie wird zum richtungsweisenden Handlungsprinzip des Sanierungsvorhabens, prägt nahezu alle statisch-konstruktiven Fragestellungen und kann schließlich dazu führen, dass der erhaltenswerte Bestand eine tragende Rolle bei der Sanierung einnimmt“, sagt der Tragwerkplaner Heiko Fassbender. Dass man den geschäftsführenden Inhaber des Ingenieurbüros Kleinhofen + Schulenberg an dieser Stelle beim Wort nehmen darf, veranschaulicht ein aktuelles Projekt, das ein Paradebeispiel für die zeitgemäße und ressourcenschonende Sanierung und Modernisierung kommunaler Gebäude darstellt: Die vom Immobilienmanagement der Stadt Darmstadt (IDA) beauftragte und dem architektonischen Entwurf von Loewer + Partner (L+P) folgende Komplettsanierung der Schulsporthalle des Darmstädter Lichtenberg-Gymnasiums. Zu den Highlights dieser grundhaften und energetischen Sanierung gehört die von Kleinhofen + Schulenberg (K+S) entwickelte und realisierte neue Leichtbau-Dachkonstruktion. Sie ermöglichte die Umsetzung aller Nachhaltigkeitswünsche des Bauherrn und erlaubt die zukünftige Nutzung der Halle als gesetzeskonforme Versammlungsstätte.
Unzeitgemäß und schwer
Das Sanierungsprojekt begann im Jahr 2022 mit der Begutachtung und Bestandsaufnahme durch die Statiker von K+S. Sie kamen schnell zu dem Ergebnis, dass große Teile der Bausubstanz aus dem Jahr 1962 in einem überraschend guten Zustand waren. Zudem erschienen viele charakteristische Merkmale des Gebäudes – wie das Stahlbetonskelett mit seiner Ausfachung aus Klinkersichtmauerwerk – optisch ansprechend und erhaltenswert. Auch das alte, über eine Spannweite von 18 Metern freitragende Dachtragwerk wies zunächst keine nennenswerten Mängel auf. In seiner unzeitgemäßen, schweren und unflexiblen Konstruktion aus vorgespannten Fertigteilbindern und einachsig gespannten Spannbetonhohlplatten sahen die Statiker und Bauingenieure von K+S jedoch keinen Spielraum für die Umsetzung der gesteckten Sanierungsziele. „Weder bot sie ausreichende Traglastreserven zur Realisierung energetischer, klimatechnischer und ökologischer Maßnahmen noch erlaubte sie eine nachweisbare Bewertung der Feuerwiderstandsdauer“, sagt Heiko Fassbender.
Nachhaltig und flexibel
Ebenso wie die Nachhaltigkeitsaspekte und der verbesserte Brandschutz gehörten aber von Beginn an auch hohe energetische Maßstäbe zu den Grundforderungen der städtischen Auftraggeber. So sollte die Sporthalle nach der Sanierung über ein Dachsystem verfügen, dass sowohl die Integration einer hocheffizienten Dämmung ermöglicht als auch die unterseitige Montage moderner Kühl-/Heizdecken, die nach dem Prinzip der stillen Raumtemperierung arbeiten. Außerdem sollte ihre Tragfähigkeit auf die Installation einer Photovoltaik-Anlage sowie die extensive Begrünung ausgelegt sein. Über diese klimatechnischen und energetischen Maßnahmen hinaus war vorgesehen, die Nutzungsflexibilität des Gebäudes so zu erweitern, dass ihr Innenraum zur Ausrichtung von Veranstaltungen mit mehr als 200 Personen dienen kann – die Halle also den Kriterien der deutschen Versammlungsstättenverordnung (VStättV(O)) entspricht. „Weil das alles mit der alten Betondecke und ihren beschränkten Traglastreserven nicht machbar war, mussten wir uns eine Lösung einfallen lassen, die sowohl mit den heutigen Anforderungen an den Klima- und Ressourcenschutz als auch mit den Vorgaben der Feuerwiderstandsklasse F 30 vereinbar ist“, berichtet Heiko Fassbender.
Mehr Reserven dank neuer Leichtigkeit
Bei der Entwicklung des neuen Dachsystems folgte das Projektteam von K+S drei Leitgedanken: Erstens, dank der gut erhaltenen Substanz des Bauwerks konnte der Bestand aller Stützen, Wände, Giebelwände und das gesamte Untergeschoss erhalten und weiter genutzt werden. Zweitens, die Neukonstruktion musste erhebliche Lastreserven für die Integration der klimatechnischen und energetischen Gewerke bieten. Und drittens galt es die erwähnten Brandschutz-Anforderungen zu berücksichtigen. „Infolgedessen entschieden wir uns für den Rückbau der alten Stahlbetonattika mitsamt der alten Dachdecke bis zur Oberkante der Kragstützen sowie zur Entwicklung einer neuen F 30-konformen Dachkonstruktion mit völlig neuem Lastkonzept“, erläutert der Tragwerksplaner.
In Zusammenarbeit mit den im Schul- und Sporthallenbau erfahrenen Kollegen von Loewer + Partner legte das Lichtenberg-Projektteam von K+S – Statiker und Ingenieure verschiedener Generationen – hierbei ein hohes Maß an Kreativität, Augenmaß und Detailkompetenz an den Tag. Es entwickelte eine mehrschichtige und multifunktionale Leichtbau-Konstruktion, die auf den Stahlbetonstützen des Bestands nahtlos aufsetzt, alle Anforderungen erfüllt und sich in energetischer Hinsicht sogar den Standards moderner Passivhäuser annähert. Als lastabtragende Komponenten kommen in jeder Tragachse schlanke Holzbinder aus Brettschichtholz zum Einsatz, die dank ihrer Materialgüte GL 32h der Feuerwiderstandklasse F 30 entsprechen. Darüber liegt eine Ebene mit Trapezblechen, die über eine spezielle Perforation verfügen, die die Raumakustik der Halle verbessert. Auf dem Trapezblech wiederum befindet sich die Dämmschicht, die – um den hohen energetischen Standards städtischer Sanierungsprojekte zu genügen – eine Dicke von etwa 30 Zentimetern aufweist. Den wasserdichten Abschluss bildet ein Gründach, das Niederschlagswasser bei Starkregen im Abfluss drosselt. Den Aufbau einer modernen PV-Anlage sieht das neue Lastkonzept ebenfalls vor. Weitere Lastreserven sind für die flächige Anbringung der Kühl-/ Heizdecken im Halleninneren angesetzt. „Summa summarum wurde das Lastkonzept unserer neuen Dachkonstruktion mit 2,50 kN/m2 etwas unter den Wert der alten, massiven Bestandskonstruktion ausgelegt“, sagt Heiko Fassbender. Dadurch ergibt sich noch zusätzlicher Freiraum für die Anbringung von Sportgeräten, energiesparenden Beleuchtungskörpern oder Multimediasystemen.
Innovative Lösung mit Vorbildcharakter
Die von K+S geplante neue Dachkonstruktion hat großen Anteil daran, dass die grundhafte Sanierung der Schulsporthalle des Darmstädter Lichtenberg-Gymnasiums als Vorbild für viele ähnlich gelagerte kommunale Sanierungsprojekte dienen kann. Zumal die gut austarierte und konsequent umgesetzte Kombination von Bestandsschutz einerseits sowie statisch-konstruktiver und energetischer Modernisierung andererseits sich unter dem Strich als überaus wirtschaftliche Gesamtlösung erwies. „Ein Abriss der alten Halle mit anschließendem Neubau hätten der Stadt vermutlich erheblich höhere Baukosten beschert – den Gewinn an Nachhaltigkeit und Klimaschutz durch die Berücksichtigung des Faktors Graue Energie noch gar nicht miteinkalkuliert!“, betont Heiko Fassbender. ms
Autor: Michael Stöcker, Freier Fachjournalist, Darmstadt
Objekt: Große Schulsporthalle des Lichtenberg-Gymnasiums Darmstadt
Projekt: Grundhafte und energetische Sanierung von Halle und Neben- bzw. Zwischengebäuden
Sanierungsdauer: Februar 2022 bis Oktober 2024 (Einweihung November 2024)
Aufwand: Gesamt ca. 5,4 Mio. Euro / Baukosten ca. 3,5 Mio. Euro
Bauherr: Eigenbetrieb Immobilienmanagement der Stadt Darmstadt (IDA)
Architekt/ Bauleitung: Loewer + Partner, Darmstadt
Tragwerk/ Statik/ Dachkonstruktion: Kleinhofen + Schulenberg, Darmstadt
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